Recherche- und Schreibbüro G. Hinrichs

Historikerbüro

Macht es denn Spaß, dauernd in alten Akten zu wühlen?

Wenn ich sage, dass ich Historikerin bin, werden mir viele Fragen zu meiner Arbeit gestellt. Einige werde ich hier beantworten. 

Übrigens: Wenn Sie auch noch eine Frage haben, die Sie mir gern stellen würden, schreiben Sie sie mir unter rsb-hinrichs@web.de oder auf WhatsApp unter 0178 9034838. Ich freue mich darauf, eine Antwort zu geben!

Die erste Frage war, was uns Geschichte nützt, die zweite, was ein Historiker eigentlich tut. Hier kommt die dritte Frage:

Macht es denn Spaß, dauernd in alten Akten zu wühlen?
Ja, es macht Spaß, alte Akten durchzugehen. Manchmal ist es schade, dass das Lesen von alten Akten nur einen kleinen Teil der Arbeit eines Historikers ausmacht.

Wieso sollte es langweilig sein, alte Texte zu lesen? Es ist ja auch nicht langweilig, gute Serien zu gucken. Dabei sind die Charaktere dort alle erfunden, während die Personen, die Akten geschrieben haben, einmal gelebt haben. 

Der Beamte, der den zehnten Brief innerhalb der Behörde über zu hohe Kastanien in der Allee X schreibt, ist ein Mensch, der wie alle anderen geboren worden ist, ein Kind, ein Jugendlicher, ein junger Erwachsener war und seine eigenen Erfahrungen gemacht hat. Selbst in einer guten Serie müsste er zwischendurch mal rauchen oder einen Freund treffen oder auf der Straße Gesetzestexte zitieren, während alle umherstehen und lachen. Sonst wäre der Charakter zu flach. Und in der Geschichte gibt es keinen Charakter, der zu flach ist. Jeder hat einen Grund dafür, warum er da war, wo er war, oder warum er dachte und handelte, wie er es eben tat. Das ist alles andere als langweilig.

Der Grund dafür, warum viele Menschen es für langweilig halten, alte Texte zu lesen, ist, dass sie nicht erkennen können, was dort eigentlich steht. Sie sehen „nur“ die Oberfläche: Die Kastanien in der Allee X sind zu hoch und sollen gekappt werden, weil die Anwohner sich beschweren. Und wen interessieren Bäume, die sowieso längst gefällt sind, oder Anwohner, von denen nicht mal mehr der Grabstein übrig ist? 

Flapsig ausgedrückt: Die haben damals ihr Ding gemacht, wir machen heute unseres. Fall erledigt.

Aber warum standen die Kastanien überhaupt dort? 

Allee X war eine der wichtigsten Verkehrsstraßen und Bauingenieur YZ fand, die Kastanien gäben der Straße eine edle Note. Edle Note hin oder her – als Kaufmann NN dort hinzog, verschlimmerte sich die Lungentuberkulose seiner Frau. Unter den Bäumen war es zu feucht. Er bat seinen guten Freund, den Beamten, eine Eingabe zu machen, damit die Bäume gefällt wurden. Aber die Stadt fand, Kaufmann NN sollte eben umziehen, wenn ihm das Klima nicht zusagt. Er konnte aber nicht umziehen, weil er kein Geld hatte und eben nur dieses Haus von seinen Eltern geerbt hatte. Was tut er also? Kriecht er irgendwo unter? Kappt er die Bäume in einer Nacht- und-Nebel-Aktion selbst und wird dafür verurteilt? Stirbt seine Frau und lässt die vier kleinen Kinder als Halbwaisen zurück?

Sie nehmen den nächsten Brief – da ist Ihre Zeit im Archiv fast um. Sie fotografieren noch schnell die letzten Briefe und freuen sich auf die Fortsetzung, die Sie zuhause genießen wollen.

Mal ehrlich: Was ist daran langweilig?